2012 - Winterreise - 3. Freie Theater Festival Innsbruck
Winterreise von Elfriede Jelinek mit Musik von Franz Schubert
Inszenierung: Torsten Schilling; Choreografie: Benito Marcelino; Raum/Video/Ton: Florian Kofler; Assistenz: Philipp Vill; Kostüme: Christine Stöckl; Technik: Didi Scherz / Beto De Christo; Grafik: Dieter Seelos; Fotos: Christoph Tauber
Es spielen: Gabriele Czerny, Maria Dörrer-Metnitzer, Klara Höfels, Therese Hofmann, Anna Markt, Luka Oberhammer, Michaela Schalk, Elisabeth Tusch; Stephan Lewetz, Benito Marcelino, Herbert Redinger, Christoph Stoll.
von Heinrich Schwazer (tz - 5. Dezember 2012)
Erschütternd ist es, wie Klara Höfels auf einem stillstehenden Sessellift einen Monolog auf ihr verpfuschtes Dasein hält, während unter ihr die Abfahrer abfahren - doch niemals auf sie. Da hält das halsbrecherische Tempo der Jelinek schen Sprechkadenzen und die thematische Maßlosigkeit für einen Moment den Atem an als ob jemand dazwischenrufen würde: Halt! Dürfte ich jetzt kurz mal darüber nachdenken worum es hier überhaupt geht? Oder bleibt uns zuletzt auch nur der Anruf beim Tod, der einzigen gebührenfreien Nummer? Es sind diese Momente jenseits der nervösen Zappeligkeit von Jelineks Sprache, die einem den Sinn dahinter mit einem Schlag offenbaren. Und die einen in den unruhigen Geist von Schuberts „Winterreise“ katapultieren. Fremd sind wir eingezogen, fremd ziehen wir wieder aus. Schilling ist mit seinem großartigen Ensemble ein seltenes Kunststück gelungen: eine Jelinek die berührt. So wunderlich ist die Alte gar nicht.

Stephan Lewitz, Benito Marcelino, Luka Oberhammer, Klara Höfels,
liegend vorne: Ensemblemitglieder Westbahntheater Innsbruck
von Heinrich Schwazer (tz - 5. Dezember 2012)
Der Raum sieht aus wie die nächtliche Silhouette einer Stadt unter einem Sternenhimmel. Grüne Lämpchen leuchten wie Glühwürmchen in der Dunkelheit. Tatsächlich sind es die Stand by-Lampen von Fernsehgeräten, die man sieht, eine Stadt aus Fernsehapparaten, einer durchmedialisierten Kultur, die Florian Kofler auf der Bühne versammelt hat. Egal ob Schnee, Geld oder Sex, es kommt alles aus unserer allerliebsten spiegelglatten Projektionsfläche zu uns. Was treibt Schuberts Wanderer aus dem Liederzyklus „Winterreise“, Inbegriff des romantischen Kunstliedes, in so einer Landschaft? Er steht still. Rasend still. Er hat sich wundgelaufen. Voran geht nicht mehr, es geht, wenn er Glück hat, vorbei: „Mein Vorbei, es kommt nicht wieder, am Vorbei kommt man nicht mehr vorbei. Vorbei ist vorbei. Fragen Sie die Zeit! Sie wird es Ihnen bestätigen“. Nicht mehr als angelehnt an Motive aus Schuberts „Winterreise“ ist das gleichnamige Stück der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Obwohl es im Untertitel „Ein Theaterstück“ heißt, fehlen Rollenangaben, Regieanweisungen und Dialoge völlig. Wie hievt man so eine 130seitige Vorlage auf die Bühne? Indem man das nach allen Regeln der Postdramatik Dekonstruierte noch einmal dekonstruiert? Torsten Schilling hat sich in seiner Inszenierung für das Innsbrucker Westbahntheater für die entgegengesetzte Richtung entschieden und sich auf die entscheidende Frage konzentriert: Was hat er selbst quälerische Jelineksche Abrechnungs-Pomp eigentlich mit uns zu tun? Zunächst: „Winterreise“ ist fraglos Jelineks persönlichstes Stück, eine schmerzhafte Wanderung durch ihre eigene Biografie und Familiengeschichte. Isolation, Alter, körperlicher Verfall, Depression und die Auseinandersetzung mit ihrer öffentlichen Rolle, in der sie als „wunderliche Alte“ ihre „alte Leier“ spielt - das alles und die österreichische Skandallandschaft mit ihren Bankencrashs, dem Kellerkind Natascha Kampusch und Medienkritik grundieren den bereits klassischen Jelinek-Sound mit seinen Wortverdrehungen, Kalauern und ironischen Volten, die sich in einer unaufhörlichen Suada gegenseitig vom Blatt schubsen. Torsten Schilling verteilt die Rollen auf drei Gestalten (Klara Höfels, Luca Huber Hammer, Stephan Lewitz), einen Tänzer (Benito Marcelino) und einen graugewandeten Chor. Der Text wandert von Spieler zu Spieler und zum Chor, der sich darüber echauffiert, dass das Kellerkind ungerechtfertigter Weise zu seinem Ruhm gekommen sei: „Nur weil sie einmal beinahe tot gewesen wär, Ist sie wer“. Die übelste Gosse der Volkseele tut sich auf, doch die in der alpenländischen Literatur zur Karikatur inquisitorische Österreichbeschimpfung schenkt Schilling dem Publikum zum Glück weitgehend. Geradezu chirurgisch hingegen präpariert er das heraus, was das Leben an sich den Menschen antut.
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